DIE CHRISTIANISIERUNG DER GESELLSCHAFT
Zwischen dem 5. und dem 8. Jahrhundert n.C. fand die Christianisierung weiter Teile der Gesellschaft im Mittelmeerraum statt. Die christlichen Herrscher nahmen die Rolle der Gouverneure und Beamten des Staates an sich und waren somit in der Lage, ihre Lebensregeln fast allen Bürgern aufzuerlegen. Ferner übernahmen sie die Zuständigkeiten, das heißt, die Steuereintreibung, die Justizverwaltung, die Durchführung von Baumaßnahmen, die öffentliche Sicherheit, die Wohltätigkeit und viele weitere Aspekte.
Die Kirche kontrollierte und regelte den größten Teil des Alltags fast aller Menschen, angefangen bei den täglichen Aufgaben bis hin zu den wichtigsten Momenten im Leben wie die Taufe, die Eheschließung und alles rund um den Tod.
Die Macht der Stände der christlichen Kirche im 5., 6. und 7. Jahrhundert n.C. ist perfekt belegt durch die Tatsache, dass die eindrucksvollsten Gebäude und für die am meisten Mittel verwendet wurden, die Kirchen und die Taufkapellen waren, so wie es in der Gemeinde Manacor geschah.
DAS GEBIET VON MANACOR VOM 5. BIS ZUM 8. JAHRHUNDERT
Auf dem Gemeindegebiet von Manacor wurden rund dreißig Stätten dokumentiert, an denen sich zwischen dem 5. und dem 8. Jahrhundert Gruppen von Menschen angesiedelt haben. Zwar ist über die Art vieler dieser Gruppen noch nichts bekannt, doch es scheint, dass es sich größtenteils um kleine land- und viehwirtschaftliche Betriebe handelte. Son Peretó und Sa Carroja bilden zwei Ausnahmen: an jedem dieser Orte wurde eine vorchristliche Basilika mit Taufkapelle gefunden.
Son Peretó liegt in der Ebene im Hinterland an einer leicht erhöhten Stelle und umringt von gutem Ackerland. Es lag sehr nahe bei einem wichtigen Verkehrsweg, inmitten eines Geländes, in dem es zahlreiche Siedlungen aus der Zeit der Römer, der Vandalen und des Byzantinischen Reiches gab. Sa Carroja hingegen lag ganz in der Nähe der Küste in einem felsigen Gelände an den Steilfelsen des Hafens von Manacor (Porto Cristo).
Obwohl nicht bekannt ist, zu welcher Art von Kommune (städtische, stadtnahe, ländliche, klösterliche...) die in Son Peretó und Sa Carroja entdeckten Bauten gehören, so weiß man doch mit Sicherheit, dass ihr Klerus die Sakramente und andere Dienste an die Christen in beiden Bereichen verteilt hatte, und im zweiten Fall an die Seeleute und andere Reisende, die im Hafen Halt machten.
Die offizielle Entdeckung der Fundstätte von Son Peretó im Jahre 1912 geht auf die Person des J. Aguiló zurück, der sich von den erfolgreichen Arbeiten inspirieren ließ, die einige Jahre zuvor die Freilegung der Basilika, der Taufkapelle und anderer Bauten von Sa Carroja ermöglicht hatten.
Jene Arbeiten erlaubten ihm vor allem, die gesamte Basilika und ein Gebäude für Taufen zu entdecken, sowie eine bedeutende Sammlung mit Mosaiken und zahlreiche archäologische Materialien zu retten, die den Grundstein für das heutige Historische Museum von Manacor bildeten.
In diesem Saal sind Fundstücke sowohl aus Son Peretó wie auch vom Meeresboden von Porto Cristo ausgestellt. Sie sind ein gutes Zeugnis der Hafenaktivitäten, die an dieser Stelle im 5. bis zum 7. Jahrhundert n.C. stattgefunden hatten.
DIE BASILIKEN VON MANACOR
Die so genannten Basiliken waren jene Kirchen, in denen der christliche Kult vollzogen wurde, vor allem der Gottesdienst, das heißt, das eucharistische Ritual. Es waren heilige Gebäude, die als wahre Königssälekonzipiert wurden. Einen Hinweis darauf liefert auch das Adjektiv „basilika“, das aus dem griechischen Substantiv basileushervorgeht, welches „König“ bedeutet. Es waren Bauten mit üppiger Verzierung durch Gemälde, Stoffe, Marmor oder Mosaike. Im Inneren konnte man süße Aromen und Düfte wahrnehmen, und sie waren stets beleuchtet, oft mit Lampen aus Glas, die ein Licht erzeugten, das aus himmlischen Sphären zu kommen schien. Damit wurde erreicht, dass alle Besucher den Eindruck erhielten, das Paradies Gottes von der Erde aus zu betrachten.
In der Basilika von Son Peretó wurden Reste der Stuckmalereien gefunden, die vermutlich die Wände bedeckten, und vor allem eine Reihe von Mosaiken, die eines der schönsten Ensembles am westlichen Rand des Mittelmeeres bilden. Die aus den Mosaiksteinchen geformten Palmen stellen das Paradies dar und sind das schönste Beispiel für die Absicht, den Himmel auf Erden zu spiegeln. Die Blumen- und Tiermotive dienten auch zur Darstellung des Gartens Eden. Man konnte zahlreiche Exemplare der Glaslampen und die so genannten Dochthalter aus Blei dokumentieren, die dazu dienten, den Docht mit der Flamme zu halten, die das als Brennstoff dienende Öl verbrannte.
Sowohl die Basilika von Sa Carroja wie auch die von Son Peretó wiesen einen rechteckigen Grundriss mit einer dreischiffigen Halle und dem Kopfteil mit östlicher Ausrichtung auf. Sie wurden mehreren Umbauten unterzogen, was ein guter Beweis dafür ist, dass sie über eine lange Zeit hinweg genutzt wurden, aber die Kenntnis über ihre Entwicklung erschweren.
Die christliche Religion brauchte einen Altar, um die symbolische Opfergabe, die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi zu vollziehen. Ebenso wie in anderen Basiliken auf den Balearen scheint es, dass sich der Altar in Son Peretó in der Apsis befand. Vor der Apsis befand sich ein durch Gitter abgeteilter Raum, der als Chorraum bezeichnet wird.
Sowohl dieser Raum wie auch die Apsis waren in der Regel dem Klerus vorbehalten, während sich die übrigen Gläubigen im Hauptschiff aufhielten. Unter den auf den Balearen bekannten Basiliken besitzt die von Son Peretó das größte Fassungsvermögen (rund 400 Personen).
Ie sichtbaren Baustrukturen von Son Peretó lassen den Schluss auf drei Hauptetappen zu:
Rund um das 5. Jahrhundert n.C. muss es hier eine Kirche und eine Taufkapelle mit einemgroßen Becken gegeben haben.
Im 6. Jahrhundert muss es hier eine voll konsolidierte Kirche mit einem großen Taufgebäude und einem kleinen Becken gegeben haben.
Im 7. Jahrhundert glich vermutlich alles mehr oder weniger der vorherigen Etappe, mit der Ausnahme, dass der westliche Bereich wahrscheinlich nicht länger als Grabanlage genutzt wurde und dort neue Räumlichkeiten zum Wohnen errichtet wurden.
DIE TAUFGEBÄUDE VON MANACOR
Die Taufkapellen waren die Gebäude, in denen Taufen vorgenommen wurden, ein Sakrament, dass die Hinführung zum Glauben bedeutete und von wesentlicher Bedeutung war, um das Reich Gottes und das ewige Leben zu erlangen.
Bei den religiösen Anlagen von Sa Carroja und Son Peretó befanden sich die Taufgebäude zu Füßen der Basilika, und ihre Becken waren entlang der Längsachse der Tempel angeordnet. Das von Sa Carroja ist nur teilweise dokumentiert. Bei dem von Son Peretó hingegen konnte man erkennen, dass es einen quadratischen Grundriss mit einem zentralen Bereich hatte, der von vier Korridoren mit rechteckigen Grundriss umgeben war. Bis heute ist sie die größte bekannte Taufkapelle auf den Balearen.
Von Son Peretó wissen wir, dass das große Becken und der Bereich ringsherum älter sind und dass sie zerstört wurden, als das heutige Gebäude der Taufkapelle mit dem kleinen Becken errichtet wurde.
DIE WOHNHÄUSER UND DIE ERNÄHRUNG
Die einzigen Häuser aus dem 5. bis 8. Jahrhundert, die im Gemeindegebiet von Manacor ausgegraben wurden, befinden sich in Son Peretó. Es handelt sich um recht bescheidene Bauten mit nur einem Stockwerk und höchstens drei Räumen. Im Inneren befinden sich Feuerstellen, auf denen gekocht wurde, sowie Speicher für die Aufbewahrung von Getreide oder Hülsenfrüchten.
Die Ernährung der Bevölkerung von Son Peretó beruhte zu jener Zeit auf Erzeugnissen aus der Land- und Viehwirtschaft. Zu den erstgenannten zählte nachweislich die einheimische Produktion von Gerste, Öl und Wein. Dank der gefundenen Fragmente von Amphoren wurde auch festgestellt, dass Wein oder Öl vorrangig aus Ibiza, dem Zentrum von Nordafrika und dem Nordosten des östlichen Mittelmeers angekommen waren.
Ziegen, Schafe, Schweine und Rinder bildeten die wichtigste Strategie in der Viehwirtschaft. Auch waren viele Hähne vorhanden. Die Überreste von Kaninchen, Hasen, Kleingeflügel, Schildkröten und Erdschnecken belegen die Nutzung einer breiten Palette an wild lebenden Arten für die Ernährung, während die dokumentierten Ressourcen aus dem Meer sehr begrenzt sind.
LEBEN UND TOD
Obwohl bis heute nur ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung untersucht wurde, die vom 5. bis zum 8. Jahrhundert n.C. auf dem heutigen Gebiet von Manacor gelebt hatte und alle untersuchten Personen nur vom Friedhof von Son Peretó stammen, so lässt sich bei den durchgeführten anthropologischen Studien eine erhöhte Kindersterblichkeit feststellen. Denn in den alten Gesellschaften starben viele Babys bei der Geburt oder im Laufe ihres ersten Lebensjahres, da sie sehr stark ansteckenden Krankheiten und Parasiten ausgesetzt waren.
Die meisten Menschen, die in Son Peretó begraben wurden, waren in einem Alter zwischen 20 und 40 Jahren gestorben. Zwar gibt es einige Personen, die älter als 60 Jahre geworden sind, doch die Lebenserwartung der Männer betrug etwa 45 Jahre und die der Frauen reduzierte sich auf rund 30 Jahre, weil sie häufig während der Geburt oder aufgrund von dabei entstandenen Infektionen starben.
Die durchschnittliche Körpergröße der Männer unterschied sich mit ca. 1,70 m nicht sehr von den heutigen Maßen. Die Frauen hatten eine durchschnittliche Körpergröße von 1,57 m.
Bei der Gebissuntersuchung wurde das Fehlen von Zahnpflege festgestellt. Ferner wurden häufig Anzeichen für Hypoplasie festgestellt, die auf Wachstumsstörungen während der Kindheit aufgrund schwerer Erkrankung oder Mangel an wichtigen Nährstoffen in der Ernährung hindeuten.
DER BEGRÄBNISKULT
Alle Christen mussten in einem Grab beerdigt werden, das als Ruhestätte galt, das heißt, ein koimeterion- von diesem griechischen Wort stammt der spanische Begriff „cementerio“(Friedhof). Dort fand der Körper seine Ruhe, während die Seele des Verstorbenen eine Reise antrat, die entweder in die Hölle oder ins Paradies führen konnte. Das Ende dieser Reise hing davon ab, was man zu Lebzeiten getan hatte, aber auch davon, ob man von den Lebenden erinnert wurde. In der weiter zurückliegenden christlichen Zeit gedachte man der Verstorbenen durch kleine Gaben von Wein und Speisen oder durch Gebete. Doch in späteren Epochen konnte man dem Teufel die Seele nur mithilfe von Gottesdiensten durch Priester entreißen, das heißt, bei einem Seelenamt.
Parallel dazu war es üblich, dass man in oder neben einer Kirche begraben sein wollte, und insbesondere bei den dort befindlichen Reliquien. Man glaubte, das eine Form, den spirituellen Schutz der Verstorbenen zu begünstigen und den Schutz in der anderen Welt zu erreichen. Daher verwundert es nicht, dass sowohl in Sa Carroja wie auch in Son Peretó zahlreiche Gräber im Inneren und rund um die Basiliken gefunden wurden.
Alle Grabinschriften aus dem 5. bis 7. Jahrhundert, die auf dem Gemeindegebiet von Manacor entdeckt wurden, sind auf Lateinisch geschrieben, das zu jener Zeit von der überwiegenden Mehrheit der Bewohner von Mallorca gesprochen wurde.